Protect the Planet unterstützt Fridays for Future (FFF) von Beginn an. Deswegen veröffentlichen wir an dieser Stelle die Zusammenfassung der 1,5°C-Studie, die FFF beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in Auftrag gegeben hat. FFF fordert: Hört auf die Wissenschaft. Handelt jetzt!
Die 1,5°C-Studie (Auszüge)
„13. Oktober 2020. Seit fast zwei Jahren streiken wir jeden Freitag – für eine lebenswerte Zukunft, für Klimagerechtigkeit und für die Einhaltung der 1,5-°C-Grenze. Seitdem waren wir laut, haben Forderungen aufgestellt und streikten mit Millionen Menschen weltweit. Seit fast zwei Jahren ist das Klima eines der größten Themen in Gesellschaft und Politik. Gleichzeitig gibt es aber immer noch keine einzige Partei in Deutschland, die einen Plan zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens hat. Schlimmer noch: Fünf Jahre nach Abschluss des Pariser Abkommens hat weder eine Regierung, noch irgendeine Partei, noch irgendeine Institution überhaupt untersuchen lassen, was zur Einhaltung des Abkommens nötig wäre.
Warum die Studie?
So wird eine ernsthafte gesellschaftliche Diskussion um die nötigen Maßnahmen unmöglich. Diese Wissenslücke musste deshalb geschlossen werden. Und da die Regierung diese Aufgabe konsequent ignorierte, mussten wir einmal mehr ihren Job machen:
Wir haben das renommierte „Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie“ beauftragt, in einer Studie herauszufinden, was die 1,5°C-Grenze für Deutschland bedeutet und welche Möglichkeiten aus heutiger Sicht bestehen, sie einzuhalten. Und die Ergebnisse sind verblüffend!
Denn die Studie zeigt: Wir können 1,5°C noch einhalten! Aber der Weg dorthin wird eine enorme Herausforderung.
Die Studie zeigt, dass die Klimaziele der aktuellen Bundesregierung zu einem mehr als doppelt so hohen CO2-Ausstoß führen würden wie ein 1,5°C-Pfad.
Das Wuppertal Institut erklärt: Das Einhalten der 1,5°C-Grenzmarke ist nur dann möglich, wenn Deutschland bis etwa 2035 CO2-neutral wird und auch nur dann, wenn die Emissionen schon in den unmittelbar vor uns liegenden Jahren extrem sinken. Das Erreichen von CO2-Neutralität wäre “bis zum Jahr 2035 aus technischer und ökonomischer Sicht zwar extrem anspruchsvoll […], grundsätzlich aber möglich”, so die Studie.
Es liegt also ganz entscheidend an der nächsten Bundesregierung, ob das 1,5°C-Ziel noch eingehalten werden kann. Kurz nach dem Ende der nächsten Legislaturperiode, 2026, wäre das deutsche CO2-Budget ohne Emissionsminderungen vollständig aufgebraucht.
Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde in der Studie untersucht, was zum Erreichen von CO2-Neutralität bis 2035 in den Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Gebäude notwendig ist.
Energiewirtschaft
Im Sektor Energiewirtschaft fand das Institut unter anderem heraus, dass erneuerbare Energien und explizit die Wind- und Solarenergie in den kommenden Jahren 4-5-mal so stark ausgebaut werden müssen wie in den letzten Jahren. Auch der Import von ausländischen klimaneutralen Energieträgern wird nötig sein.
Natürlich müssen wir für CO2-Neutralität bis 2035 bis dahin auch aus Erdgas ausgestiegen werden. Die Studie stellt fest, dass für die Versorgungssicherheit in der Stromversorgung sowie für klimaverträgliche Industrieprozesse Wasserstoff gebraucht werden wird, der mindestens zu einem Teil in Deutschland durch erneuerbare Energien erzeugt werden sollte. Dafür braucht man sogenannte Elektrolyseure. Bis 2035 sind Elektrolyseure mit einer 7-9-mal so großen Leistung wie von der GroKo geplant notwendig.
Industrie
In den nächsten Jahren erreichen viele Industrieanlagen das Ende ihrer vorgesehenen Lebensdauer und müssen ersetzt werden. Neue Industrieanlagen laufen jahrzehntelang. Deshalb ergibt sich im Sektor Industrie die Notwendigkeit, dass sich alle neuen Anlagen klimaneutral betreiben lassen. Außerdem müssten alle noch bestehenden fossilen Anlagen entweder stillgelegt oder auf nicht-fossile Technologien umgestellt werden. Auch hier, so die Studie, wird Wasserstoff eine große Rolle spielen. Wegen des aktuell hohen Energiebedarfs der Industrie, der sich nur schwer erneuerbar decken ließe, braucht es eine konsequente Kreislaufwirtschaft: Durch Re-Use, Re-Manufacturing und Recycling von Produkten lässt sich der Energiebedarf der Industrie erheblich reduzieren und so deren Defossilisierung erleichtern. Die Studie unterstützt im Sektor Industrie außerdem eine deutlich höhere CO2-Bepreisung in der Größenordnung von perspektivisch 180 Euro pro Tonne CO2. Diese muss durch weitere Instrumente ergänzt werden. Es wird auch klargestellt: Der Aufbau der Infrastruktur für eine klimaneutrale Industrie muss schon beginnen, bevor die Nachfrage danach vorhanden ist. Andernfalls wird die Zeit für den Umbau nicht reichen. Entscheidungen müssen also jetzt fallen und mit hoher Geschwindigkeit und Entschlossenheit umgesetzt werden.
Verkehr
Auch der Verkehr in Deutschland hat einen hohen Energiebedarf. Dieser muss, laut Studie, für eine Umstellung auf CO2-Neutralität bis 2035 deutlich verringert werden. Verursacht wird der hohe Energiebedarf vor allem durch Autos und LKW mit Verbrennungsmotor, die gegenüber der Bahn das 5-fache an Energie verbrauchen. Deshalb sieht die Studie folgende Schritte als notwendig an: eine Verkehrsvermeidung und -verlagerung, signifikant höhere CO2-Preise auf fossile Kraftstoffe und die Abschaffung der vielzähligen klimaschädlichen Subventionen im Verkehr. In den verschiedenen Bereichen des Verkehrssektors sind zum Erreichen von Klimaneutralität bis 2035 unter anderem konkret notwendig: die Halbierung des Autoverkehrs sowie die Verdoppelung des Öffentlichen Verkehrs, Ersatz der meisten verbleibenden Verbrennungs-PKW durch Elektroautos, ein baldiges Zulassungsverbot für neue Verbrennungs-PKW, die Verlagerung von 30 % des LKW-Verkehrs auf die Schiene, die Beendigung des innerdeutschen Flugverkehrs und die Verwendung von ausschließlich synthetischen Kraftstoffen für den – ebenfalls stark reduzierten – verbleibenden Flugverkehr ab 2035.
Gebäude
Die Studie ergibt, dass im Gebäudesektor eine massive Steigerung der energetischen Sanierungsrate extrem wichtig ist. Energetisch sanieren bedeutet, den Energieverbrauch eines Hauses etwa durch Dämmen deutlich zu reduzieren.
Das passiert derzeit mit weniger als 1 % der Häuser pro Jahr, müsste aber jedes Jahr an 4 % der Häuser durchgeführt werden! Um diese Steigerung zu ermöglichen, ist ein umfassender Maßnahmenmix nötig. Unter anderem braucht es auch eine Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive im Handwerk, da für die Ausführung der energetischen Sanierungen noch nicht einmal genügend Handwerker ausgebildet sind.
Als zweiter wichtiger Punkt muss der Einbau fossil betriebener Heizungen in kürzester Zeit beendet werden. Zum Vergleich: Heute sind immer noch fast 80 % aller neuen Heizungen fossil! Stattdessen sollten die meisten neu eingebauten Heizungen Wärmepumpen sein.
Was bedeutet das?
Die Studienergebnisse zeigen also: Eine 1,5°C-Politik kann von deutscher Seite nur noch gewährleistet werden, wenn sich die Bundesregierung sofort umfassend auf die Reduktion der CO2-Emissionen fokussiert und Klimathemen in allen Politikbereichen priorisiert.
Das erfordert beispiellose politische Anstrengungen.“Ist [der gesellschaftliche und politische Wille] gegeben, stehen der Zielerreichung keine unüberwindbaren Hindernisse entgegen”, schreiben die Wissenschaftler*innen des Wuppertal Instituts. Der gesellschaftliche Wille ist da, die Unterstützung unserer Forderungen enorm – jetzt liegt es an Politiker*innen aller Parteien, endlich faktenbasiert über das Klima zu sprechen und zu handeln.
Die Studie schafft eine Grundlage für eine ehrliche gesamtgesellschaftliche Debatte über notwendige Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise.
Dass sich so viele unserer Forderungen in der Studie wiederfinden – unter anderem die Forderung nach Nettonull 2035 oder nach einer CO2-Bepreisung in Höhe von 180 € – zeigt, wie berechtigt sie waren und weiterhin sind. Bei der Ausarbeitung unserer Forderungen, in der Corona-Krise und mit der Veröffentlichung dieser Studie sagen wir: Hört auf die Wissenschaft. Handelt jetzt!”