Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat gesprochen – und lässt jüngste Bemühungen z.B. von Kanzler Merz, die Notwendigkeit für Klimaschutzmaßnahmen kleinzureden („2 Prozent“, Die Zeit), wie eine Farce aussehen. Aber von vorne.
Am 23. Juli 2025 hat der IGH ein Gutachten öffentlich vorgestellt, das von juristischer Seite bestätigt: Klimaschutz und eine saubere Umwelt sind Menschenrecht. Klimaschutz zu verweigern, kann völkerrechtswidrig sein. Und Staaten, die sich nicht an Klimaschutzabkommen halten, können dafür zur Verantwortung gezogen werden – Schadensersatz und Reparationszahlungen sind denkbar.
Wie kam es zu dem IGH-Gutachten?
Der IGH mit Sitz in den Den Haag ist das ‚Hauptrechtsprechungsorgan‘ der Vereinten Nationen. Die fünfzehn Richter*innen, die von der UN-Generalversammlung und dem Sicherheitsrat gewählt werden, legen internationale Streitfälle zwischen Staaten bei und erstellen auf Anfrage der UN Rechtsgutachten zu völkerrechtlichen Fragen (bpb) – so wie nun in diesem Fall.
Seit Jahren kämpfen Aktivist*innen des Inselstaates Vanuatu für ein solches Gutachten des obersten Rechtsorgans der UN. Wie viele Inselstaaten, nicht nur im Pazifik, leiden sie besonders unter den bereits jetzt stark spürbaren Auswirkungen des gefährlichen Klimawandels. Der steigende Meeresspiegel und zunehmende Stürme zerstören die Lebensgrundlage in ihrer Heimat. Auf u.a. das Betreiben der Studierendenorganisation PISFCC aus Vanuatu hin beauftragte schließlich die UN-Vollversammlung im Jahr 2023 ohne Gegenstimmen den IGH mit dem Gutachten, das nun veröffentlicht wurde.
Was steht in dem IGH-Gutachten zum Klimaschutz?
Der Jurist Prof. Dr. Felix Ekardt betont, dass der IGH mit der expliziten Betonung des 1,5 Grad-Ziels nochmal weiter geht als jüngst das Bundesverfassungsgericht oder auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (LinkedIn). Das gesamte IGH-Gutachten ist über 100 Seiten lang und wird in den folgenden Tagen und Wochen von Jurist*innen weltweit umfassend studiert und interpretiert werden. Die wichtigsten Kernaussagen sind aber klar und deutlich:
- Das Recht auf eine „saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt“ ist ein Menschenrecht.
- Der IGH nimmt eindeutig die Staaten in die Pflicht, sich an das 1,5 Grad-Ziel des Paris-Abkommens zu halten – auch für zukünftige Generationen. Das 1,5 Grad-Ziel ist völkerrechtlich verbindlich.
- Damit geht eine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht einher, das Klima unter einem strengen Sorgfaltsmaßstab zu schützen. Das nicht zu tun, kann völkerrechtswidrig sein.
- Der IGH betont, dass die Staaten international zusammenarbeiten müssten, um dieses Ziel zu erreichen.
- Ebenso bedeutsam sind auch ehrgeizige nationale Ziele. Fossile Subventionen sind potenziell rechtswidrig.
- Die Treibhausgasemissionen vergangener Zeiten spielen eine Rolle: Staaten können wegen zu hoher Emissionen für Klimawandelschäden verantwortlich gemacht werden. Zwar müsse in jedem Einzelfall entschieden werden, aber Schadensersatz oder auch Reparationszahlungen sind grundsätzlich möglich. Staaten können andere daraufhin verklagen.
Was beutetet das IGH-Gutachten für Deutschland und den internationalen Klimaschutz?
Die bekannte Klima-Anwältin Dr. Roda Verheyen betont, dass mit dem Gutachten zwar keine Sanktionen verbunden sind. Trotzdem werden laut Dr. Verheyen internationale Diplomatie und nationale Gerichte dem Gutachten große Wirkmächtigkeit verleihen (tagesschau.de). Auch für Deutschland sieht sie direkte Auswirkungen: Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verwässerung des deutschen Klimaschutzgesetzes beispielsweise haben Germanwatch und Greenpeace im Herbst 2024 bereits eingereicht (Zukunftsklage bzw. Verfassungsbeschwerde 2.0) – hier könnte das IGH-Gutachten bereits Beachtung finden, sagt auch Prof. Dr. Felix Ekardt (LinkedIn).
Markus Raschke, Geschäftsführer von Protect the Planet, betont ebenfalls die Auswirkungen des Gutachtens auf Deutschland: „Die aktuelle Bundesregierung ist die erste überhaupt, die Klimaschutzmaßnahmen wieder zurückdrehen will – mit einer Wirtschaftsministerin, die mit Argumentationsweisen von Klimawandelleugner*innen Maßnahmen zur Förderung fossiler Infrastruktur rechtfertigt. Das neue IGH-Gutachten gibt der vielseitigen berechtigten Kritik am Klima-Kurs Deutschlands gewaltigen Rückenwind.“
Für weltweit Betroffene Menschen und Staaten hat das Gutachten erst mal eine große symbolische Bedeutung: Eine der weltweit wichtigsten Organisationen hat ihren Kampf um Gerechtigkeit und Klimaschutz gehört und anerkannt. Die Tagesschau zitiert die PISFCC-Präsidentin Vishal Prasad: „[Der IGH] bestätigt eine einfache Wahrheit der Klimagerechtigkeit: Diejenigen, die am wenigsten zu dieser Krise beigetragen haben, verdienen Schutz, Wiedergutmachung und eine Zukunft.“ (tagesschau.de)
Quellen und zum Weiterlesen:
- https://www.tagesschau.de/ausland/europa/igh-gutachten-klima-102.html
- https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/igh-gutachten-klimawandel-voelkerrecht-verpflichtet-zum-klimaschutz
- https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/17659/internationaler-gerichtshof-igh/
- https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/igh-gutachten-versaeumnisse-klimaschutz-voelkerrechtswidrig-wiedergutmachung
- Kurzfassung des Gutachtens (Englisch): https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/187/187-20250723-sum-01-00-en.pdf
- Ganzes Gutachten (Englisch): https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/187/187-20250723-adv-01-00-en.pdf
- Press release (Englisch): https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/187/187-20250723-pre-01-00-en.pdf